Übergangene Projektleitung

Projektaufbauorganisation und Linienorganisation sind formal konsequent zu trennen

Der CEO eines Unternehmens fungiert im Rahmen eines internen Projektes als Arbeitsgruppenmitglied. Am Projekt beteiligt ist auch der VR-Präsident des Unternehmens, der den Vorsitz des Lenkungsausschusses innehat. Die operative Projektleitung übernimmt ein externer Projektbegleiter.

Die Projektergebnisse wurden im Rahmen einer ausserordentlichen VR-Sitzung besprochen und zur Vernehmlassung in einem beratenden Gremium freigegeben. An der VR-Sitzung anwesend waren unter anderen die externe Projektleitung, der CEO sowie der VR-Präsident. Das Protokoll der Sitzung wurde durch die externe Projektleitung erstellt und anschliessend dem VR-Präsident zur kritischen Durchsicht zugestellt. Dieser hat das Protokoll genehmigt, anschliessend erfolgte der Versand an die VR-Mitglieder.

Aufgrund des im Protokoll festgehaltenen Beschlusses, die Projektergebnisse zu vernehmlassen, hat die externe Projektleitung die Vernehmlassungsunterlagen im Hinblick auf die bevorstehende Vernehmlassungsveranstaltung mit den Führungskräften der ersten und zweiten Führungsebene per E-Mail versandt. Eine Kopie ging auch an den CEO, welcher nach dem Versand die Projektleitung kontaktierte und festhielt, dass der Unterlagenversand noch nicht hätte ausgelöst werden dürfen. Es sei an der ausserordentlichen VR-Sitzung (an der auch die externe Projektleitung anwesend war) beschlossen worden, dass die Projektergebnisse nochmals an der nächsten VR-Sitzung, die noch vor der Vernehmlassungsveranstaltung stattfindet, besprochen werden. Erst nach dieser VR-Sitzung hätte der Versand der Vernehmlassungsunterlagen erfolgen sollen. Der externen Projektleitung war diese Vorgehensweise unbekannt. Schliesslich hat sich herausgestellt, dass dieser Beschluss nicht an der ausserordentlichen VR-Sitzung, sondern zwei Wochen später im Rahmen einer internen Sitzung, an welcher die externe Projektleitung jedoch nicht anwesend war, gefasst wurde. Die Projektleitung wurde nicht darüber in Kenntnis gesetzt.

Was ist passiert? Der Grossteil der Projektarbeit und die Projektsteuerung werden durch punktuell ins Projekt einbezogene Mitarbeitende und Führungskräfte der Linienabteilungen geleistet, so auch in diesem Fall. Deswegen besteht die Gefahr, dass die Projekthierarchie durch die Linienorganisationshierarchie übersteuert wird, was sich in diesem Beispiel so zugetragen hat. Die externe Projektleitung wurde «übergangen», indem eine Entscheidung ohne Einbezug aller Projektbeteiligten in der Linienlogik getroffen und zudem nicht kommuniziert wurde.

Welche Lehren können Sie aus dem beschriebenen Fall ziehen? Stellen Sie die konsequente formelle Trennung von Linienorganisation und Projektaufbauorganisation sicher. Kommunizieren Sie auch konsequent in der Logik der Projektaufbauorganisation. So können Sie der Gefahr, die Projekthierarchie zu umgehen, entgegenwirken. Was Sie aber trotz strikter Trennung von Linienorganisation und Projektaufbauorganisation hinnehmen müssen, ist die Tatsache, dass der Führungsstil der Linienorganisation auf denjenigen des Projektes einwirkt. Führungsstile sind sehr persönlichkeitsabhängig und deshalb nur schwer veränderbar.

Literatur:
Forrer, F. & Schöni, M. (2011). Projektmanagement. Mit knappen Ressourcen Projekte sicher steuern. Zürich. Versus Verlag.

Christine Dreyer
Betriebsökonomin FH